Von Bangalore nach Mangalore
So heiraten Hindus

Wer auf die Bühne will, um dem Hochzeitspaar zu gratulieren, muss sich vorher die Schuhe ausziehen. Wir haben zwar kein Signal bemerkt, aber da sich fast alle Gäste plötzlich von ihren Stühlen erheben, muss es ein Zeichen gegeben haben. Wo gehen sie nur hin? - Aha, eine Etage tiefer gibt es jetzt Lunch, klärt uns ein anderer Gast auf. Die Leute stürzen beinahe die Treppen hinunter. Im untersten Geschoss des Gebäudes servieren Kellner das indische Büfett. Die Temperatur in der "Essenshalle" treibt uns den Schweiß auf die Stirn. Beim Probieren der köstlichen Gerichte kommt der Appetit trotz der Hitze schnell zurück: Reisspeisen, süß, deftig, Linsen, Kartoffeln, wir haben von allem etwas auf unserem Teller. Einfach köstlich.

Als wir zurück in den Saal kommen, sind fast alle Stühle leer, fast alle Leute, die auf ihnen saßen, nicht mehr da. Es ist erst früher Nachmittag! Verwundert steigen wir schließlich ein zweites Mal die Treppen zur Bühne hinauf, dieses Mal, um uns zu verabschieden. Der Braut tränen immer noch ein wenig die Augen. Bei einem der Rituale wird ein kleines Feuer entzündet, und das Paar wedelt sich den Rauch zu. Die frisch Vermählten nehmen sich die Zeit zu fragen, was wir noch vorhaben. Da unser Bus erst am späten Abend fährt und wir nicht damit gerechnet hatten, dass alles so schnell vorbei sein würde, wissen wir es selbst nicht. "Fahrt doch zum Strand raus", schlägt Akshata vor. Den Kadri Manjunatha Tempel mit seinen Bronzestatuen haben wir einen Tag zuvor bereits bewundert, den Krishna Tempel in der Pilgerstadt Udupi auch, und an einem entlegenden Strandabschnitt haben wir uns zur Belustigung der dort herumschlendernden Inder auch schon im Bade-Outfit gesonnt. Fix speichert die Braut unsere Handynummer ein, in spätestens zwei Stunden werden sie uns ihren eigenen Fahrer schicken. Widerrede wird nicht geduldet.

In einer Shopping-Mall vertreiben wir uns die Zeit bis dahin. Viele Frauen tragen Jeans, nicht wenige sind in Burkhas gehüllt. Neben der größten Glaubensgemeinschaft, den Hindus, lebt in der über 400.000 Einwohner zählenden Küstenstadt Mangalore auch eine beträchtliche muslimische und katholische Minderheit. Getrennt von uns durch die Glasscheibe des Cafés, in dem wir sitzen, schauen Inder von draußen quer durch den Raum zum Fernseher hinüber. Sie drücken sich beinahe ihre Nasen an der Scheibe platt. Ein Sportsender? Dann laufen mit großer Wahrscheinlichkeit Cricket- oder Fußballspieler über den Monitor.

Das Hochzeitspaar fährt in einem kleinen Auto vor, zeigt uns das größere, das uns samt Fahrer den Rest des Tages zur Verfügung steht. Peinlich berührt bedanken wir uns und lassen uns zum Strand bringen. Die Straßen sind über Nacht nicht besser geworden, es ruckelt und zuckelt. Pünktlich zum Sonnenuntergang erreichen wir den Ullal Beach. Niemand badet. Frauen, Männer und Kinder sitzen vollständig bekleidet im Sand, schauen aufs Meer hinaus, knabbern Nüsse und Süßigkeiten. Nach einer guten Stunde fordert uns ein Polizist auf, bald den Strand zu verlassen: "It's closing-time!"

Erstaunt über die so kurze Hochzeitsfeier und über so viel Hilfsbereitschaft treten wir schlussendlich die achtstündige Schlagloch-auf-Schlagloch-Rückfahrt quer durchs Niemandsland zurück nach Bangalore an.